Geschichte und Grundlagen der Myoreflextherapie
Die Myoreflextherapie entwickelt sich seit ca. 1990 aus einer Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnisse und Wissenschaften. Sie wurde von Dr. med. Kurt Mosetter begründet. Als integrative und ganzheitlich orientierte Therapieform beinhaltet sie Erfahrungen und Einsichten alter Kulturen ebenso wie Ergebnisse der modernen Physik und der aktuellen Hochschulmedizin.
Auf den ersten Blick scheinbar fremde Elemente sehr unterschiedlicher Denkmodelle verflechten sich hier zu einem neuen und vielschichtigen Handlungs- und Therapiemodell. Über die fruchtbare Auseinandersetzung spezialisierter Einzeldisziplinen zu einem Miteinander leitet sich mit der Myoreflextherapie ein Bindeglied ab, welches scheinbare Widersprüche der Einzelperspektiven miteinander verbindet. Insbesondere werden statisch/mechanisch ausgerichtete Modelle mit bio-dynamisch/biokinematisch ausgerichteten sowie Biographie-orientierten Konzepten vernetzt. Die Myoreflextherapie kann dann im Wechselspiel und in Wechselwirkung mit den einzelnen Fachrichtungen der Medizin zu einer fruchtbaren Ergänzung derselben werden. Sie kann – auf dem Fundament dieser Fachrichtungen – über das Muskelsystem eine wichtige Säule in der interdisziplinären Zusammenarbeit werden.
Ziel ist die Konstruktion einer Brücke zwischen scheinbaren Widersprüchen. In der Einigung entstehen viele richtige Lösungen. Entscheidende Eckpfeiler und teilweise enge persönliche Kooperationspartner der Myoreflextherapie sind:
- Die funktionelle Anatomie und das Muskelsystem des Menschen
- Die Physik und die Biomechanik des Bewegungsapparates (mit mathematischer Berechnung und Modell nach Packi, Freiburg)
- Die Orthopädie mit der manuellen Medizin; insbesondere die Modifizierte Atlastherapie
(Tillmann Goerttler) - Die Neuraltherapie und die Lehre und funktionelle Dynamik von den Muskelmeridianen (Bergsmann, Wien)
- Die Psychologie, psychologische Medizin; Psychotraumatologie und biographisch dialektisches Veränderungsmodell nach Fischer (Freiburg, Köln)
- Die Neurophysiologie und die Neuropsychologie (Teuchert-Noodt, Bielefeld)
- Neurobiochemie, Schmerz-Stoffwechsel (Neuromyologie nach Mosetter)
- Die Phänomenologie und Erfahrungsmedizin der östlichen Hemisphäre mit der klassischen chinesischen Medizin (KCM), dem Akupunktursystem und der Tuina- Massage sowie der traditionellen indischen Medizin, dem Ayurveda mit den Marmapunkten
- Die Osteologie (Prof. Dr. med. D. Felsenberg, Berlin)
- Die Osteopathie mit Triggerpunktbehandlung (Travell/Simons, USA); Anatomy Trains (Myers)
- Physiotherapeutische Verfahren
- Überlegungen von Feldenkrais und Levine.
Diese Wissenssysteme bilden das Fundament der Myoreflextherapie; verschiedene Modelle und genaue theoretische Beschreibungen fließen ein in ein mehrdimensionales Behandlungskonzept. Dabei geht es nicht um einen unverbindlichen Eklektizismus der Methoden, sondern um eine möglichst reichhaltige und vielschichtige Basis der Beschreibung und Behandlung ein und desselben Gegenstandes – des sich bewegenden Menschen.
Bei näherer Betrachtung der einzelnen Therapiesysteme nebeneinander, miteinander und über deren Grenzen hinaus fallen eine Vielzahl sich einander entsprechender Teilelemente unübersehbar auf. So verschmelzen unterschiedliche Sprachen, kulturelle Anschauungen und scheinbar gänzlich unterschiedliche Modelle im wahrsten Sinne des Wortes in einem Punkt. Empirisch abgeleitete Akupunkturpunkte können mit osteopathischem Triggerpunkt, neuraltherapeutischem Infiltrationspunkt, anatomischem Muskelansatz und neurophysiologischem Muskel- und Sehnenrezeptor analog formuliert werden.
»Der Beobachter physikalischer Phänomene ist Interpret seiner Beobachtungen. Der Beobachter lebender Systeme muss 'Meta-Interpret' sein, das heißt er muss die Interpretation der beobachteten Lebewesen interpretieren.«
Thure von Uexküll und Wolfgang Weisack
Jeweils in sich kohärente Herangehensweisen, Begriffe und Denkweisen befassen sich interessanterweise immer wieder mit denselben Dingen. Physik, Anatomie, neurophysiologische Grundlagen und spezielle Akupunkturpunkte erweisen sich letztendlich als unabhängig von kulturellem, geographischem und zeitlichem Hintergrund. Somit geht es nicht um die Diskussion, welches Modell richtig oder falsch, oder welche Denkweise veraltet oder neu sein könnte, sondern um ein Plussummenspiel mit mehreren, in sich stimmigen Lösungen.
Mit den Muskelansätzen wurden Behandlungszonen wiederentdeckt, die in den Medizinsystemen aller Kulturkreise als bedeutsame Zonen in deskriptiver Art und Weise schon lange bekannt sind. Über das Studium und eine Auseinandersetzung mit den Akupunktursystemen, welche über sehr lange Beobachtungszeiträume auf empirischer Basis immer wieder dieselben Punkte am Körper beschreiben, war festzustellen, dass diese Punkte sehr häufig direkt mit Muskelansätzen korrelieren. Exakt diese Punkte sind als myofasziale Maximalpunkte oder Triggerpunkte in der Neuraltherapie bekannt. Entsprechend können dort Meridiane als muskuläre Kettenfunktionen als Muskelmeridiane beschrieben werden. (Erste Hintergründe in der Hochschulmedizin sind beschrieben in den Reflexzonen nach Head.)
In der Myoreflextherapie werden in erster Linie Muskelansätze in funktionellen Zusammenhängen und kinetischen Ketten behandelt. An diesen Stellen werden Berührungsreize verstärkt wahrgenommen; wobei bereits eine leichte Druckerhöhung zu einer Schmerzempfindung mit Ausstrahlungen wie bei referred pain an entfernten Stellen führen kann. Bei der Palpation finden sich häufig schmerzhafte Verhärtungen, Myogelosen und bindegewebige Aufquellungen. An den entsprechenden Muskeln ist ein Hypertonus festzustellen.
Nach genauer Palpation und Druckpunktstimulation derartiger Punkte lösen sich die tastbaren Veränderungen nach einer gewissen Zeit (Sekunden bis wenige Minuten) auf. Über einen allmählichen manuellen Druckanstieg am Muskel-Sehnen-Knochen-Übergang werden neuromuskuläre und bindegewebige Reaktionen ausgelöst. Der Tonus der entsprechenden Muskeln sinkt spontan und sehr deutlich ab.
Bei der Myoreflextherapie geht es um die unmittelbare Lösung der zu hohen Grundspannung im Muskel/Muskelsystem und damit um die Entlastung von Gelenken und Weichteilstrukturen. Umstellungsreize veranlassen den Organismus zu entsprechenden Regulationen und zur Wiederherstellung einer funktionstüchtigen, schmerzfreien Anatomie des Bewegungssystems. Damit verbunden ist die Aufhebung vielfältiger Symptome, welche durch muskelinduzierte Symmetriestörungen und chronische Fehlbelastungen hervorgerufen werden können. Neben Haltungsasymmetrien und chronischen Schmerzzuständen sind dies etwa Auswirkungen im Vegetativum mit Schlafstörungen, allgemeiner Unruhe und vielem mehr.